5 Mythen über Hunde und wie es darum wirklich steht.

Einmal in einem Hundeforum eine einfache Frage gestellt, schon zeigt sich die Problematik deutlich, wieviel falsches Wissen herumgeistert. Bei so vielen fragwürdigen Antworten, wie man da kriegt, kann es einem schon mal sehr kalt den Rücken herunterlaufen. Dieser Artikel soll hier und heute mit 5 der übelsten Mythen aufräumen, die man so unter Hundemenschen antrifft.

Das Dilemma mit der Informationsflut.

Es war noch nie so einfach wie heute, sich zu jedem Thema beinahe beliebig viele Informationen einzuholen. Vorbei sind die Zeiten, wo man 1-2 Mal in der Woche in die Gemeindebibliothek ging und mit der Auswahl dort Vorlieb nehmen musste. Heute haben wir fast unbegrenzten Zugang zu jeglichen Büchern, Videos, Zeitungsartikeln usw. Und das alles ist nur wenige Klicks entfernt.

Das Problem dabei ist aber zweierlei. Die Flut an Artikeln im Internet und die Vielzahl an Büchern, die man heute mit nur einem Klick bei Amazon kaufen kann, bedeutet erstens auch, dass es immer schwieriger wird, die Spreu vom Weizen zu trennen. Jeder schreibt, als habe man Kompetenz auf einem Feld. Manche haben das auch. Manche aber eben auch nicht. Und es liegt einzig in der Verantwortung des Lesers, was er sich kauft oder durchliest. Mehr Informationen, weniger Qualitätsgarantien.

Dieses „Dauerinformiert-sein“ führt zweitens aber auch dazu, dass sich gewisse Menschen gar nicht mehr informieren. Manche erst, wenn echte Probleme auftauchen, und manche nicht einmal dann.

So ist es dann auch bei den Hundehaltern. So viel Halbwissen kursiert im Internet und leider auch in Büchern, die zumindest äusserlich den Schein erwecken, dass der Autor Kompetenzwissen zu besagtem Thema besitzt. Und nicht weniger problematisch sind die VIPs (very [self-]important persons) in bekannten Fernsehformaten.

Könnte mir eigentlich egal sein. Nicht mein Leben, nicht mein Freund. Aber hier geht es ja um den Hund, der unter der Konsequenz von diesem Halb- oder Falschwissen leidet.

Also will ich mit den übelsten 5 Mythen aufräumen, die man so unter Hundemenschen antrifft. Um genau zu sein, resultieren die Mythen 2-5 aus dem Mythos 1 und könnten in einem grossen Abschnitt ausdiskutiert werden. Ich finde es allerdings besser, sie separat zu behandeln, damit es deutlich und sichtbar wird, wo das Problem liegt.

Mythen Wolf- Hund

Mythos 1: "Beim Wolf ist das auch so" oder "Wie in der Natur"

Oh boy. Hier gibt es so viel zu sagen. Daher versuchen wir, das Ganze etwas zu vereinfachen und zusammenzufassen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Selbstverständlich kann der Vergleich zwischen Hund und Wolf auch wichtige Erkenntnisse zu Tage bringen. Aber aus den folgenden Gründen ist dabei grosse Vorsicht geboten:

DER HUND IST KEIN WOLF!

Der Wolf und der Hund sind sich zwar sehr ähnlich, aber der Mensch hat den Hund in den letzten rund 35 000 Jahren so stark domestiziert, selektiert und verhaltenstechnisch verändert, dass wir trotz vielen Ähnlichkeiten auch viele Unterschiede berücksichtigen müssen.

Achtung vor veraltetem (Un-)Wissen

Vieles, was man so über den Wolf zu wissen geglaubt hat, hat sich dank moderner Forschung als falsch erwiesen. So wissen wir heute z.B., dass freilebende Wölfe KEINE hierarchisch gegliederte Sozialstruktur haben; wenigstens nicht so, wie wir Menschen uns das gerne vorstellen. Es gibt keine Alpha-Tiere, die ihre Stellung über Dominanz halten müssen. Genauso wenig gibt es Beta- und Omega-Tiere, die permanent versuchen, durch Kämpfe mit ranghöheren Tieren ihre Rangstellung zu verbessern.

Anstelle dessen weiss man heute, dass ein Rudel in freier Wildbahn eine „KERN“familie darstellt. Die Elterngeneration und 1-2 Generationen Kinder ist dabei das Übliche. Und da gibt es normalerweise keine Ränge, sondern natürlichen Respekt und natürliche Autorität. That’s it.

Anders sieht das aus, wenn fremde Wölfe aufeinander treffen. In der Natur heisst das meistens: Ernstkampf, manchmal mit Todesfolgen. Fremde werden selten geduldet, und das oft auch nur, um ein neues Rudel zu gründen. In Gefangenschaft errichten Wölfe mit den fremden, „nicht zur eigenen Familie gehörigen“ Wölfen eine Rangordnung, weil sie müssen. Denn mit Fremden ist man nie sicher, ob man denen trauen kann. Tönt sehr menschlich, nicht?

5 Mythen: Hunde Rudeltiere

Mythos 2: "Hunde sind Rudeltiere".

Der Vorfahre des heutigen Hundes (nach aktuellem Stand der Forschung eine ausgestorbene Grauwolfart) war ein Rudeltier. Rudel heisst hier aber: Kernfamilie. Nur die eigenen Eltern/Kinder/Geschwister zählen im engen Sinne zum Wort Rudel. Moderne Wölfe leben immer noch so.

Nicht so aber der Hund:
Studien haben gezeigt, dass Hunde bereits so früh wie in der achten Woche ihres Lebens jede Interaktion mit Menschen der Interaktion mit den eigenen Blutsverwandten vorziehen. Das gilt wohl nicht immer für alle, aber es zeigt trotzdem die nachhaltigen Veränderungen, die 35 000 Jahre Leben nach den Regeln der Menschen auf genetischer Ebene mit sich bringen.

Das soll jetzt aber nicht heissen, dass Hunde asozial sind. Im Gegenteil: Hunde sind hochsozial organisiert. Kooperation in der Gruppe ist eine sehr effiziente Überlebensstrategie. Es heisst aber, dass die meisten Hunde lieber in einer Gemeinschaft (aka Familie) mit Menschen leben als mit den Artgenossen (sofern sie diese Wahl haben). Selbst gut sozialisierte Hunde „brauchen“ die Artgenossen nicht, um glücklich zu leben.

Interessiert am Thema Wolf – Hund? Dieses Buch liefert die Antworten in einem spannenden Format:

5 Mythen: Der will nur spielen

Mythos 3: Der will nur Hallo sagen / Der will nur spielen.

Hier ziehe ich dann doch einmal den Wolf-Hund-Vergleich hinzu:
Wenn Wölfe in der Wildnis auf fremde Artgenossen treffen, weichen sie sich in aller Regel grossflächig aus. Wenn territoriale Bedrohung besteht, dann führt es fast unweigerlich zu schweren Kämpfen.

Zurück zum Hund:
Hunde haben im Zusammenleben mit dem Menschen gelernt, dass nicht-blutsverwandte Artgenossen zum Alltag gehören. Durch ihre hochsoziale Art haben sie Konfliktstrategien entwickelt, die auch beim Zusammentreffen mit Fremden zu friedlichen Lösungen führen können und meistens auch tun.

Aber:
Das gegenseitige Beschnuppern und Umkreisen etc. ist unter fremden Tieren KEINE reine Begrüssung. Das ist eine Informationsbeschaffung, wer der andere ist. Darunter auch eine Einschätzung, ob das Gegenüber vielleicht gefährlich sein könnte. Es bietet sozial kompetenten Hunden auch die Möglichkeit, Zeichen zu setzen, dass man selber keinen Konflikt sucht oder wünscht.

Genauso ist ein Spiel mit Fremden meist kein echtes Spiel. Spiel dient hier einerseits zur Deeskalierung („Kuck mal, ich bin nicht gefährlich, ich spiele doch nur“) und andererseits auch zum Kräftemessen. Ein ausgelassenes, echtes, freies Spiel ist bei Erstkontakten mit fremden Tieren sehr selten.

5 Mythen: Die regeln das schon

Mythos 4: Die regeln das schon.

Dieser ach so schöne Satz löst bei mir ernsthafte Wutanfälle aus. Wer mitgelesen hat und die 3 oberen Punkte als logisch erachtet, weiss auch schon, warum dieser Satz so problematisch ist.

Erstens wünschen sich viele Hunde den nahen Erstkontakt mit Fremden schon mal gar nicht. Wenn es dann aber so weit kommt, kann die „Begrüssung“ für einen der Hunde auch eine Bedrohung darstellen. Und sollte das in einem Streit oder Kampf enden, dann können ernsthafte Verletzungen auch nicht ausgeschlossen werden.

Denn wenn es ernst wird, kann auch ein „lieber“ Hund auch mal aufs Ganze gehen. Die Gründe können von Angst bis hin zum Mobbing reichen. Aber ein „Kampf“ mit einem Fremden birgt immer die Gefahr, dass es zu weit gehen könnte. Es ist durchaus etwas anderes, ob man sich mit einem bekannten und freundlichen Artgenossen streitet oder mit einem komplett fremden, der unter Umständen auch noch einen Streit provoziert.

Ziehen wir nochmal den Wolf-Hund-Vergleich zu Rate:
Bei kleineren Problemchen ist es üblich, dass eines der Elterntiere die schwierige Situation löst. Dazu gehören auch oft Verteidigungsaufgaben. Unsere Hunde gehen dabei ebenfalls davon aus, dass das Familienmitglied mit der höchsten sozialen Kompetenz Konflikte schlichtet. Überlassen wir nun unsere Hunde dauernd sich selber, kann es passieren, dass sie auch das Vertrauen in unsere Kompetenz bezüglich Konfliktlösung verlieren und im Ernstfall präventiv die Konflikte gleich selber auslösen und ausfechten.

Mythos Der Chef

Mythos 5: Dem muss man mal zeigen, wer der Chef ist

Gleich noch einmal so eine wunderbar dummdreiste Aussage. Sie hört sich doch für unsere menschliche Logik auch irgendwie einleuchtend ein. Aber so einfach ist das jetzt erstmal gar nicht.

Aus den oberen Punkten sollte ja klar hervorgehen, dass wir eine Lebensgemeinschaft mit unseren Hunden eingehen, die einer Familie ähnelt. In der Familie gibt es ganz klar Kompetenzenverteilung. Hunde fühlen sich auch sicher, wenn sie sich auf diese Verteilung verlassen können. Insofern ist es schon richtig, dass man in einem guten Zusammenleben Regeln und Leitplanken definiert, die möglichst allen zum Vorteil sind. Einige solcher Regeln sichern auch das Überleben des Einzelnen und der Familie. Zum Beispiel korrektes Verhalten an der Strasse.

ABER:
Einen Chef braucht im privaten, familiären Leben so wirklich niemand. Weder Mensch noch Hund. Führung ist keine Stellung, die einer einfach so hat. Die „Anführer“position wird durch zuverlässiges, kompetentes Verhalten erst durch die Geführten verliehen. Ein Hund, der sich sicher fühlt bei seinem Menschen, akzeptiert die Kompetenz des Menschen automatisch und situationsabhängig.

Wenn jetzt in einer gegebenen Situation der Hund einmal etwas tut, was wir nicht mögen oder gar echte Probleme verursacht, dann liegt das in der Regel nicht daran, dass der Hund dringend einen Chef braucht, der ihm mal wieder zeigt, was sich gehört, oder gar, dass er aus Trotz gegen die Regeln verstösst. Nein, meistens hat der Hund in der besagten Situation entweder noch keine Ahnung, wie er sich korrekt verhalten sollte (gemäss unseren Vorstellungen/Bedürfnissen), oder seine eigenen Bedürfnisse und/oder starke Reize haben eine höhere Priorität und veranlassen den Hund, diesen nachzugehen und die menschlichen Einwände und Rufe zu ignorieren. Beide Situationen werden durch gemeinsames Lernen gelöst und nicht durch eine Korrektur eines vermeintlich ranghöheren Chefs. Denn wer gibt so einem „Chef“ das Recht, seine Bedürfnisse gegen den Willen des „Opfers“ zu erzwingen? Das ist doch totalitär, und auch wir Menschen haben damit ein Problem.

Diese Liste mit Mythen ist keinenfalls erschöpfend, und ich könnte sie um viele Punkte erweitern. Vielleicht mache ich das auch noch in naher Zukunft. Ich hoffe aber, dass ich in diesem Artikel wenigstens diese 5 Sachen für einige aufklären oder deine Auffassung weiter bestärken konnte.

know-wau

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